25.08.25 - Aktuelles

Gastbeitrag: Zwischen Gesetz und Wirkung klafft eine digitale Lücke

Gastbeitrag von Ann Cathrin Riedel (Geschäftsführerin NExT e.V.) im Newsletter d.digital der c’t.

Ann Cathrin Riedel vor grauer Wand

Ein Gesetz ist noch keine Politik. Gute Politik zeigt sich erst, wenn sie bei Menschen und Unternehmen spürbar wird – wenn sie umgesetzt wird. Dafür braucht es eine Verwaltung, die dem parlamentarischen Willen Leben einhaucht. Doch was passiert, wenn genau das nicht mehr zuverlässig gelingt?

Immer häufiger erleben wir, dass politische Vorhaben nur stark verzögert oder gar nicht realisiert werden. Nicht, weil es am Willen fehlt, sondern weil die Verwaltung überfordert ist bzw. wird. Ein zentrales Problem: Politische Entscheidungen werden getroffen, ohne die technische und prozessuale Umsetzbarkeit ausreichend mitzudenken.

„Die Politik verspricht etwas und der Staat liefert nicht.“

Ein aktuelles Beispiel ist die sogenannte „Mütterrente“. Über die politische Bewertung mag man streiten, aber hier geht es um etwas anderes: Die versprochene Leistung kann nicht wie geplant umgesetzt werden. Der Grund? Der Aufwand für die nötigen technischen Änderungen ist immens. Die Deutsche Rentenversicherung trägt daran keine Schuld – im Gegenteil: Sie hat in den letzten Jahren viel in Digitalisierung investiert. Das Problem liegt darin, dass die Gesetzgebung häufig ohne realistische Einschätzung der Systemarchitektur erfolgt. Es geht zu häufig nur um das „Ob“. Das „Wie“ wird politisch oft vernachlässigt.

Solche Fälle bleiben bei vielen Menschen hängen: Die Politik verspricht etwas und der Staat liefert nicht. Besonders fatal ist das bei Vorhaben, die unmittelbar im Alltag der Menschen wirken – sie entlasten sollen. Das Vertrauen in Staat und Demokratie leidet, wenn Zusagen nicht eingelöst werden.

Auch das Klimageld ist ein Beispiel. Während in Österreich die Auszahlung mehrfach problemlos funktioniert hat, hieß es in Deutschland: „Technisch nicht machbar“. Der frühere Bundesfinanzminister Christian Lindner erklärte, man könne nur 100.000 Überweisungen am Tag tätigen. Gleichzeitig laufen im Bankverkehr Echtzeitüberweisungen längst reibungslos. Dass es auch anders geht, zeigt ein Blick auf die 200-Euro-Einmalzahlung für Studierende: Hier wurde in wenigen Wochen ein funktionierendes Auszahlungsverfahren aufgebaut (nach einer müßigen politischen Diskussion) – allerdings nicht vom Bund, sondern von Sachsen-Anhalt. Diese Lösung wurde vom Bundesfinanzministerium jedoch nicht übernommen.

„Gesetze müssen als Prozesse gedacht und digital abbildbar sein.“

Ein weiteres Beispiel: die Kindergrundsicherung. Auch hier scheiterte das Vorhaben nicht am politischen Willen, sondern an der Umsetzbarkeit. Die geplante Komplexität machte eine digitale oder auch nur effiziente Abbildung im Verwaltungsvollzug nahezu unmöglich. Die Ankündigung, 5.000 neue Stellen zur Umsetzung zu schaffen – während gleichzeitig über 500.000 Stellen im öffentlichen Dienst unbesetzt sind – machte das Dilemma deutlich. Mehr Geld und Personal reichen nicht, wenn die Prozesse nicht von Anfang an mitgedacht wurden.

Gesetze müssen als Prozesse gedacht und digital abbildbar sein. Es braucht ein digitaltaugliches Recht. Nur so wird Politik wirksam – und Vertrauen erhalten.

Dabei mangelt es nicht an Kompetenz in der Verwaltung. Viele Mitarbeitende wissen sehr genau, wie man Leistungen effizient und rechtssicher umsetzt, wie man Prozesse aufsetzt und IT-Lösungen mit Dienstleistern entwickelt. Doch sie werden zu selten gehört – und meist gar nicht eingebunden.

Wenn demokratisch legitimierte Vorhaben an der Umsetzung scheitern, gefährdet das nicht nur ihre Wirkung. Es gefährdet das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit unseres Staates. Laut einer Studie der Körber-Stiftung haben nur noch 46 Prozent der Menschen großes oder sehr großes Vertrauen in die Demokratie. Laut DBB halten 70 Prozent der Bürgerinnen und Bürger den Staat für überfordert. Der Vertrauensverlust ist real – und er hat strukturelle Ursachen, die auch in der Handlungsfähigkeit des Staates zu suchen sind.

Wer Politik gestalten will, muss Verwaltung mitdenken. Wer Vertrauen erhalten will, muss Umsetzbarkeit sicherstellen. Gute Politik beginnt nicht erst mit der Ankündigung – und endet nicht mit dem Gesetz. Sie zeigt sich erst dann, wenn sie im Alltag der Menschen ankommt. Damit das gelingt, braucht es mehr Realitätssinn, mehr Zusammenarbeit mit der Verwaltung – und den Willen, politische Vorhaben von Anfang an als umsetzbare Prozesse zu denken.

Dieser Text erschien zuerst im Newsletter d.digital der c’t.

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